top of page

Die letzte Unsicherheit

Dieses Wochenende ist das wichtigste seit Monaten. Es ist das letzte Wochenende, an dem ich nicht weiß, wieviel ich wert bin.

Nein, versteht mich richtig. 

In wenigen Tagen werde ich erfahren, wieviel ich einer bestimmten Person wert bin.

Eigentlich ist auch diese Formulierung falsch.

In den nächsten Stunden findet ein Ereignis statt, woran diese Person teilnehmen kann, um Interesse zu bekunden oder ignorieren kann, um anderweitige Prioritäten zu setzen.

Klingt zu abstrakt? Ist es auch.

Ich verstehe nicht einmal selbst, warum mir das so zusetzt. Ich weiß, wieviel ich (mir) wert bin. Ich kenne auch Menschen, die mir ihre Wertschätzung immer wieder zeigen.

Ich will diese Menschen nicht abwerten. Ich liebe jeden einzelnen von ihnen. Aber ich erhoffe mir derartige Wertbekundungen von anderen bestimmten Personen. Und die einzige noch offene Möglichkeit befindet sich innerhalb eines etwa 100 Stunden-Radius. Danach muss ich das Warten beenden. Ich warte schon zu lange.

Es ist doch merkwürdig:

Es gibt so viele Menschen, die bedingungslos für dich da sein wollen. Und dann gibt es diese Menschen, denen bist du augenscheinlich völlig egal. Dennoch hängst du dich rein und lässt nichts unversucht, um von genau dieser Person Aufmerksamkeit zu erhaschen. Du weißt, dass es falsch ist und du tust es trotzdem.

Warum?

Weil das auf deinem Plan steht.

Und das, obwohl du genau weißt, dass das Leben eben nicht immer nach Plan läuft.

Wir planen, planen, planen. Wir malen uns die Zukunft aus. Und wenn dann alles ganz anders kommt, sind wir enttäuscht. Wir brechen zusammen. Wir weinen. Wir fluchen. Wir sind so sehr damit beschäftigt unseren gescheiterten Plan zu betrauern, dass wir gar nicht sehen, wie die tatsächliche Zukunft ist.

Niemand genießt mehr die Gegenwart. Beziehungen scheitern, weil beide nur auf die Zukunft starren und keinerlei Abstriche machen wollen. Jeder schaut nur auf sich selbst.

Wenn mein Partner nicht für mich da ist, ist die Beziehung keine Beziehung. Wenn Arbeitskollen mehr Mitgefühl aufbringen als der Partner, ist das bedenklich. Wenn man sich nicht mehr auf seine Eltern verlassen kann, aber auf den Nachbarn, den man nur 2x die Woche grüßt, ist das nicht normal.

Normalerweise sage ich immer, dass es an mir liegt. Meine Mutter versagt mir den Kontakt, weil ich ein so unmöglich respektloser Mensch bin. Sie vergisst, dass sie mich jahrelang schlug und ich sogar im Kinderheim war, und ich TROTZDEM immer zu mir hielt. Bis ich ihr verbot, immer wieder einen Keil zwischen mir und meinen Mann zu treiben.

Als ich noch mit meinem Ex liiert war, hatten wir keinen Kontakt zu seiner Familie, nachdem sie in einer bestimmten Situation nicht mit meiner Art der Kindererziehung einverstanden waren. Direkt nach der Trennung nahmen alle wieder Kontakt zu ihm auf.

Seine aktuelle Frau hasst mich.

Mein Mann warf mir vor, ich würde seine Familie verstoßen und sie ignorieren. Seine Schwester nannte mich eine hässliche alte -das Wort nutze ich hier nicht. Sein Vater nannte mich eine fehlerhafte, sture Kreatur, von der mein Mann sich besser scheiden lassen sollte. Seine Mutter quakte immerzu, wenn ich mit meinem Mann Probleme hätte, sollte ich lieber psychologische Betreuung aufsuchen.

Und mein Mann? Der fand immer die nettesten Worte für mich - vor anderen. Sobald sich die Türen schlossen, war ich die schlechteste Mutter, Ehefrau, Hausfrau, Putzfrau; der dümmste, intoleranteste Mensch ever.

Krank hat mich das gemacht. Und am Ende war ich immer genau das, was alle über mich sagten.

Heute weiß ich, was ich wert bin. Theoretisch. Praktisch weiß ich das nur solange, wie kein Problem auftritt. Bei der kleinsten Kritik werde ich von Selbstzweifel erschlagen.

Und dieses Wochenende habe ich Angst. Angst, dass genau das eintritt, was ich vermute. Angst, dass es mich so sehr runterzieht, dass ich mich schon wieder selbst verliere.

Einfach weil nichts nach Plan läuft und auch Hoffnung nur ein gemeiner Typ ist.

bottom of page